Früher hatte jeder Ort seine eigene Zeit. Wen kümmerte es, wenn die Turmuhr zehn Minuten weniger anzeigte als die Uhr des Nachbarortes? Man ging in die Kirche, wenn die Glocke schlug. Anlässe, bei denen Pünktlichkeit erforderlich war, gab es kaum. Pünktlichkeit ist – wie so vieles – eine Erfindung der Bahn.
Um 1850 wurden die ersten hauptberuflichen Zeitüberwacher in den Zug gesetzt: Sie bekamen eine Uhr in die Hand gedrückt und hatten bei jedem Halt darauf zu achten, dass die Uhrzeit im Bahnhof mit der Uhrzeit der mitgeführten Uhr identisch war. Die Uhrzeit der Bahnhöfe unterschied sich oftmals von der Uhrzeit der Turm- oder Rathausuhr. Die Zugstrecken hatten anfangs noch ihre eigene Zeit.
1884 wurde die Greenwich Mean Time eingeführt, die dann den Takt vorgab. Die Uhrzeit der Zugstrecken war jetzt auch die Uhrzeit der Kirchgänger und Schichtarbeiter. In der Schweiz wurde rasch die Bevölkerung mit Chronometern zwecks kollektiver Zeitsynchonisation eingedeckt. Bis heute spielt die Schweiz auch international eine bedeutende Rolle bei der Gewährleistung und Bewahrung der Pünktlichkeit.
Doch die alte Lokalzeit wabert immer noch in den Dörfern und Städten. Wer in Winterthur kurz aus dem Zug auf das Bahngleis tritt und dann den Zug wieder betreten will, wird feststellen, dass dieser längst abgefahren ist. In Weinfelden dauert es oft ungewöhnlich lange, bis die Erlaubnis für die Einfahrt und Abfahrt erteilt wird, Auswärtige sprechen in dem Fall von Verspätungen. In Lengwil kommt es gelegentlich zu Wartezeiten, bis die Einheimischen eingetroffen und zugestiegen sind. In Frauenfeld warten die Einheimischen oftmals ungeduldig, fast schon resigniert, auf die Ankunft des Zuges. Am Zürich Flughafen spielt die Zeit keine Rolle. In Konstanz ist der Zug in der Regel pünktlich – sowohl bei der Abfahrt als auch bei der Ankunft.